Ansprachen an Vernissagen

Ausschnitte aus der Ansprache von

Dr. Erasmus Weddigen, Kunsthistoriker Bern,

anlässlich der Ausstellung von

Joe Brunner im Kulturraum Bern am 19.Oktober 2007

 

Die poetischen "Wirklichkeiten" des Joe Brunner

Das einzige geistbegabte Wesen, der Mensch, nimmt bewusst Bezug auf das Zeitliche was auch immer er denkt, unternimmt oder schöpft. Künstler sind in dieser Spezies privilegiert, weil sie von Natur her dem Schöpfertum verschrieben sind. Manchmal sogar schicksalhaft ausgeliefert sind. Unter ihnen gibt es ebenso viele Opfer wie Täter. Sie sind Mentoren des Zeitgeistes wie dessen Wandler. Sie tragen oft unfreiwillig Verantwortung für Bild und Ansehen unserer gegenwärtigen, vergangenen und zukünftigen Kultur. Sie sind sowohl Endprodukte unserer Zivilisation wie Prototypen einer kommenden. Sie sind nie Alleingänger auch wenn sie sich noch so abschotten von Gesellschaft und Alltag. Immer blickt die Familie der Vorgänger, Mitläufer und Wiedergänger über die Schulter und der Zwang, sich mit ihnen zu messen, zu vergleichen, zu streiten, ist allgegenwärtig. Dies führt gemäss mendelscher und darwinscher Gesetze zur Vielzahl von Künstlerschicksalen und Charakteren und einer unermesslichen Anzahl von Ausdrucksweisen, Manifestationen, Programmen, Selbstdarstellungen und Welterklärungen, die uns die Künstler in Ausstellungen, Biennalen, Aktionen, Installationen, und zunehmenden Medienauftritten bescheren. Es ist dem heutigen normalen Bürger schwer gemacht, diese Vielfalt zu durchmessen, zu verarbeiten, gerade weil das unabsehbare Angebot mit einer Bilderflut über ihn herfällt, die ihm bisweilen jede Sichtung, Verarbeitung und Kritik verwehrt.

Der einzelne Künstler ist deshalb mehr und mehr angehalten, sich zu disziplinieren, sich zu begrenzen, seine Aussagen zu verdichten, sie zu vervielfältigen und zu wiederholen, um nicht im Wust des Facettenreichtums, der Beliebigkeit und der Sättigung seiner rastlosen Konkurrenten unterzugehen. Deshalb gab es schon seit der Renaissance über den Barock bis hin in die Neuzeit den Künstler der Selbstbeschränkung, der Vertiefung und der Konzentration, ja einer eigentlichen Meditation über wenige ausgewählte Themen und Formen, die geschliffen wurden, bis sie in bare Perfektion mündeten: Giotto, die Pieros - di Cosimo oder della Francesca -, Caravaggio, Sanreedam, Hans von Marées, Mondrian, Jawlensky, Rothko oder Newman, nur um an wenige zu erinnern. Auch die aussereuropäische Kunst kannte und kennt den meditativen Ausdruck, in dem sich Inhalt, Form und Material hoch verdichtet: die Höhlenkunst der Prähistorie, die anthropomorphe Keramik der Andenvölker, die alte Malerei Chinas und Japans, die Glyptik der klassischen Griechen…

Wenn mit Paul Klee das Bildzeichen die Ebene unserer Gegenwartskunst betrat und das Bauhaus den Boden für die materiale Ausschöpfung der Werkstoffe bereitete, Aktionskunst und Konzept, die Psychogramme der Surrealisten und Dada's das "Niederschreiben" (ecriture automatique) abstrakter bildnerischer Gedanken ermöglichten, so waren dies die geistigen Voraussetzungen und handwerklichen Prämissen, einen Künstler wie Joe Brunner, an die autodidaktische Startbahn zu begleiten, eine eigne Bildsprache auszuformen, deren Syntax wir hier vorgestellt bekommen.

Seine denkerischen und formalen Seismogramme sind die Summe kontinuierlicher "Besinnung" mittels streng selbstbeschränkender Materialien und Vorgehensweisen: so etwa die sorgfältig filigran, vegetabil oder anorganisch gerauhten Strukturgründe, die Variationen über Klangleitern der Farbe Weiss, die sparsamen Leuchtpunkte und –flecken ätherischer Farbe, die Abstraktion von Pseudo-Schriftzügen, das ernste Korsett der sich vom Umraum abhebenden metallischen Rahmung, die Kryptik der Bildtaufen. Im Gegensatz zu manchem Zeitgenossen wirkt sein Oeuvre nicht monologisch, monoman oder gar autistisch, weil man spürt, dass ein unsichtbarer Zuschauer stets aufgefordert ist, am Zwiegespräch, ob etwas gut sei oder verwerflich, ob stimmig oder noch unerlöst, ob richtig oder beliebig, ob dekorativ oder genial sei, mitzuweben.

Dank dieser Offenheit kann man Joe Brunners Tun nie der "Mache", der Manipulation, der schönfärbenden Lüge verdächtigen. Er ist von geradezu entwaffnender Aufrichtigkeit, sprich Wahrheitsliebe geprägt. Seine stolze Überzeugung Autodidakt zu sein sekundiert die Auffassung, dass hinter aller echten Poesie eine gesunde Unbefangenheit walten darf. Echte Romantik ist kein Stilmittel sondern Bekenntnis zur Demut vor der Grösse der Natur. Naturhaft sind Brunners Werkstoffe und Gestaltungsweisen, sind sie doch auf Sand, Asche, Fasermaterie, Gips oder Kreide gebaut. Der Rest entströmt dem Pinselhaar, dem verlängerten Arm der Neuronen und ihrer Assoziationen. Deren Offenheit fordert die Öffnung des Betrachters heraus. Das Gefühl von Harmonie stellt sich ein.

Da alles Erzählerische zeitgebunden ist, wie gebundene Rede oder eine musikalische Komposition, die notgedrungen endet, versucht Brunner für uns eine überzeitliche abstrakte Brücke zu seinem Kunstschaffen zu schlagen, aus dem man sich nicht verabschieden muss, sobald ein Werk vom Betrachter "erkannt", "durchschaut", "gelesen" worden ist. Damit vertieft sich die emotionale Bindung des Schauenden zum Künstler über das Medium eines nicht abreissenden kognitiven und spirituellen Dialogs.

Dass sich dieser auch weiterhin erfolgreich verwirklicht wünschen wir Joe Brunner von Herzen.

 

Erasmus Weddigen

 

 

 

 

Ausschnitte aus der Ansprache von

Dr. Erasmus Weddigen, Kunsthistoriker Bern,

anlässlich der Ausstellung von Joe Brunner & Christian Haller

in der Kulturarena Wittigkofen

28. Oktober 2006

 

Eine Begegnung zweier Homines ludentes.

Der Holländische Philosoph Johan Huizinga prägte 1938 mit seinem berühmten Buch "Vom Ursprung der Kultur im Spiel" das bis heute geflügelte Wort des "Homo ludens" , dem spielenden und spielerischen Menschen als Kulturträger und –bringer. Da die künstlerische Tätigkeit zum Inbegriff kultureller Verwirklichung des Menschen gereicht, ist jegliche Kunst grundsätzlich "spielgeboren". Man wird einwenden, das auch gewisse Jungtiere spielen und deshalb noch keine Künstler sind, doch deren Spiel ist auf einen künftigen überlebensnotwendigen Nutzen gerichtet, während der Mensch allein "l'art pour l'art" betreibt. Dass so mancher Künstler damit auch sein Überleben meistert ist zwar begrüssenswert, aber eher unwesentlich.

Eine persönliche Fügung hat hier zwei Künstler zusammengeführt, die ganz verschiedene Ausdrucksweisen vorstellen, ganz verschiedene Lebenswege hinter sich haben und wahrscheinlich auch ganz verschiedene Zukunftsperspektiven vor sich sehen. Trotzdem sind ihre Gemeinsamkeiten nicht zu übersehen: Sie arbeiten mirt verwandtem Material, sind überzeugte Autodidakten, entstammen multiplen Berufsbildern, hinterfragen die eigenen Werke mit einem philosophischen Rüstzeug. Beiden ist eigentümlich, dass sie an das Mitwirken des Betrachters appellieren und dem Werk einen weitgefassten Spielraum überlassen, in unserer Anschauung sich selbst zu entwickeln und zu erweitern. Die Neugier, die jeder schöpferischen Tat voransteht ist beiden Anstoss und Leitbild, das Material erblüht unter ihren Händen wie von selbst und überrascht ihren Schöpfer und löst die künftigen Veränderungen, sprich Metamorphosen aus. Beiden ist eine eigentümliche positive und heitere Verliebtheit in ihr Tun und Lassen, ihre Materie und Formen eigen, abwesend ist das Zerquälte und Redselige, Weltanklägerische, soziopolitisch, masochistisch oder sexualsadistisch Psychologisierende so vieler Zeitgenossen. Beide erscheinen auch als Seismographen der Gegenwartskunst, die viel gesehen und verarbeitet haben und sich doch nicht beirren liessen, ihre spezifisch eigenen Wege zu gehen – die den Mut haben, sich durch das Gestrüpp widerstrebender, sich bekämpfender, aber auch marktkorrupter anbiederischer Ismen hindurch zu schlagen und ihrer Aussage treu zu bleiben. Ein wahrlich schwerer Stand, den man heute nur mit einer gehörigen Portion von Selbstvertrauen und Unbeirrbarkeit in seiner Balance hält. Beide lassen sich treiben von ihrer Erfindungslust, ohne programmatische Zielsetzung. Beide sind immun gegen das stilkitische Einzwängen seitens der Historiker, die in Ermangelung einer befreiten Sichtweise, überall das Walten und Schalten von Ismen wittern.

Beiden Künstlern ist eigen, dass sie sich jeglicher übertriebenen Originalitätssucht enthalten, die ja die Gegenwart der Biennalen und Art-Events zu bemühlichen und letztlich ermüdenden Orientierungsläufen durch den Kunstrummel der Metropolen entwürdigen. Ein Künstler darf, soll Original - in Majuskel oder Minuskel geschrieben ist gleichgültig – sein, aber nicht originell, was ihm ja umgehend die geistige Tiefe raubte. Brunner und Haller umschiffen mit ihrer Ernsthaftigkeit im Spiel ihres Formen- und Bedeutungskanons jene gefährlichen Klippen der Anbiederung an ein geschmackfreies Allerweltspublikum.

Geniessen Sie verehrtes Publikum in kindlicher Offenheit und Aufnahmefähigkeit das agonische Spiel zweier Schau-Spieler, zweier Homines ludentes, die sich zur Lebensaufgabe gestellt haben, ihre Zeitgenossen einmal mehr zu erfreuen statt zu irritieren, Fragen lösen zu helfen denn lediglich zu stellen, Verstehen zu fördern statt herauszufordern, Grenzen zu erweitern, statt sich gesellschaftskämpferisch ab- und auszugrenzen.

Ich wünsche dem harmonischen Duo Brunner und Haller beim Publikum den verdienten Erfolg und uns Betrachtern das verdiente Vergnügen am Werken und Wirken zweier mutiger Künstlergestalten die sich trotz aller ernsthaften Tiefgründigkeit in so spielerischem Leichtsinn – ich meine dies im bestmöglichen Sinne - ! gegenseitig zu steigern und zu ergänzen wissen.

 

                                                                                   Erasmus Weddigen